Nummer 134 — Parktheater
Streifzug durch ein Jahrhundert
Benderstraße, Auf der Hardt
Von Gerda Wicharz
Der Bäcker- und Konditormeister Emanuel Wahl betrieb in der Nähe der „alten Tonhalle“ (dem heutigen Kaufhaus Karstadt) in Düsseldorf an der Schadowstraße eine Bäckerei. Als er die Bäckerkrankheit bekam, musste er seinen Beruf aufgeben und zog mit seiner Familie zur Hardt/Ludenberg. Damals hieß die Benderstraße noch Neußerstraße. Sie war damals mehr ein Weg als eine Straße. Es gab nur ein paar kleine Häuser an der Neußerstraße. Wer mit dem Pferdefuhrwerk von Düsseldorf nach Ludenberg fahren wollte, hatte wegen der stark ansteigenden Straße einen beschwerlichen Weg hinter sich gebracht. So machten sie gerne Rast auf der Hardt und kehrten in der Gaststätte von Emanuel Wahl ein.
Die Gaststätte ist in den 1870er Jahren gebaut worden; genaue Unterlagen fehlen jedoch. Es gab noch Gaslicht und im Treppenhaus Petroleumlampen. An der Straßenfront ist der ursprüngliche Baustil der Gaststätte noch erhalten. An die Gaststätte ließ Emanuel Wahl einen kleinen Saal anbauen, der 1902 zu einem Wohnhaus umgebaut wurde. Dort waren das Bürgermeisteramt Ludenberg sowie die Polizeiwache untergebracht. Auf dem Hof gab es zwei Gefängniszellen, die vor allem im Winter wegen der guten Verköstigung immer besetzt waren.
Ludenberg wurde 1909 nach Düsseldorf eingemeindet.
Nachdem 1902 die große Industrie‑, Gewerbe- und Kunstausstellung ihre Pforten geschlossen hatte, kaufte Emanuel Wahl eine Ausstellungshalle und ließ sie in der Parkanlage seines Grundstückes als Tanzsaal wieder aufbauen. Ihm gab er den Namen „Louisensaal“ nach dem Namen seiner Frau Louise. Unter den Bäumen der Gartenanlage entwickelte sich eine Gartenwirtschaft.
Der Louisensaal wurde bald zum schönsten und größten Lokal in der Umgebung. Hier wurde jeden Sonntag zum Tanz aufgespielt, und die Gäste kamen von Nah und Fern. Im Sommer war die Gartenwirtschaft mit ihren Plätzen unter den Bäumen zusätzlich ein sehr beliebtes Ausflugsziel.
1921, als die Reichsregierung die ihr auferlegte Kriegsentschädigung nicht zu zahlen vermochte, besetzten französische Truppen Düsseldorf. Zu dieser Zeit (1922/23) war ein Teil der französischen Besatzer im Louisensaal untergebracht.
Vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten gab es wieder Feste im Louisensaal: Turnfeste, Heimatabende, Sängerfeste usw.
Dann kam der 2. Weltkrieg.
In dieser Zeit diente der Saal zunächst als Lager für die Städtischen Bühnen. Da aber die Brandgefahr zu groß war, mussten die Kulissen wieder ausgelagert werden, da im Keller des Saales zum Schutze der Bevölkerung Luftschutzräume eingerichtet werden sollten.
1944 wurde im Louisensaal ein Lazarett mit zirka 200 Feldbetten eingerichtet. Zur Beheizung des Saales wurden wegen der defekten Heizungsanlage Kanonenöfen aufgestellt.
1944/45 hatten wir einen sehr kalten Winter. Düsseldorf hatte stark unter den Luftangriffen gelitten; über die Hälfte der Stadt lag in Schutt und Asche.
1945 lagen wir noch etwa sieben Wochen unter Artilleriebeschuss. Wir schliefen nur noch im Luftschutzbunker des Louisensaals. Dann endlich, im Mai 1945, war der Krieg vorbei. Die Dächer waren zerstört, vor den Fenstern hatten wir nur noch Pappe oder Holz. Im Geschäft war nichts mehr zu verkaufen. Aber irgendwie ging es weiter.
1946 lernte ich meinen Mann, Willi Wicharz, kennen, und 1947 haben wir geheiratet.
Unser Haus war zu dieser Zeit mit mehreren Familien überbelegt, so dass wir uns im eigenen Haus ein Zimmer erkämpfen mussten.
Nach Kriegsende 1945 waren in Düsseldorf die Rheinbrücken gesprengt. Zur Verbindung der beiden Seiten des Rheins bauten die Engländer eine Pontonbrücke. Das Brückenkommando hatte sich im Louisensaal einquartiert, da es dort auch Platz für die Ersatzteile gab.
1946 wurde der Saal zu einem Kino umgebaut und erhielt den Namen „Parktheater“. Es war ein gern besuchtes Kino, wurde aber gelegentlich auch als Theater von den Städtischen Bühnen genutzt.
Vor der Währungsreform waren viele Schauspieler und Künstler auf Tournee. Hier eine kleine Auswahl: Hans Müller-Schlössel, Willi Millowitsch mit seinem Ensemble, Peter Frankenfeld und Lonny Kellner, Lucie englisch, Heinz Ehrhardt, Kristina Söderbaum, Will Glahé, Jupp Schmitz, der Meistergeiger Georges Boulanger und viele andere.
1965 wurde der Saal erneut umgebaut und diente seitdem bis 1998 unter Beibehaltung der äußeren Form als Bürohaus und Lagerhalle.
Meine Tochter, Ingeborg Heublein, geb. Wicharz, hat den Louisensaal unter Beibehaltung der äußeren Form am dem Jahr 2000 zu einem Wohnhaus mit 31 Wohneinheiten und einer zugehörigen Tiefgarage ausbauen lassen.
Wegen der geschlossenen Bauweise an der Benderstraße musste dort auch noch ein Mehrfamilienhaus errichtet werden. Sie selbst wohnt mit ihrer Familie im hinteren Bereich der Liegenschaft. 1972 wurde der Neubau, Benderstraße 134, ein Mehrfamilienhaus mit 13 Wohneinheiten, bezogen.
1980, nach vielen Um- und Ausbauten des Hauses Benderstraße 136, haben wir die Gaststätte verpachtet und haben eine Wohnung im Hause Benderstraße 134 bezogen. Heute wird in der Gaststätte seit 21 Jahren ein „Italienisches Restaurant“ von den Gebrüdern Lerose geführt.
Ein seltener Gast
Erlebnis der Zeitzeugin Gerda Wicharz, damals sieben Jahre alt
Im Jahre 1930 hatten wir einen warmen Sommer. Die Gaststätte auf der Benderstraße, das Geschäft meiner Eltern, war durchgehend geöffnet, ebenfalls die Gartenwirtschaft.
So um die Mittagszeit schaute mein Vater hinaus auf den Hof. Er musste zweimal hinschauen und traute seinen Augen kaum. Da saß doch tatsächlich ein Mann mitten in der Gartenwirtschaft und neben ihm ein großer brauner Tanzbär. „Bitte ein großes Bier“, sagte der Gast. „Kommt sofort“, antwortete mein Vater, „aber binden Sie den großen Bären bitte an dem dicken Lindenbaum fest.“ Der stand nämlich weit genug weg. Das Bier wurde gebracht und dabei sagte der Bärenführer, er suche eine Übernachtungsmöglichkeit, ob das bei uns möglich wäre?
Rückfrage meines Vaters: “ Wie bitte, mit dem Bären?“
„Ja“, antwortete der Bärenführer, „tagsüber bin ich in Düsseldorf unterwegs und lasse den Bären tanzen. Aber für die Nacht brauche ich eine Schlafstelle für mich und den Bären.“
Wir hatten damals neben dem Geschäft noch eine Mehrzweckhalle. „In dieser Halle können Sie von mir aus mit dem Bären schlafen“, sagte mein Vater.
Der Bärenführer blieb mehrere Tage in Düsseldorf, kam abends zurück, nahm seinen Schlaftrunk zu sich, versorgte den Bären und legte sich mit ihm in einem Vorraum des Saales schlafen.
Einmal haben wir Kinder durch ein Fenster gelauert und gesehen, dass der Bär dem Mann als Kopfkissen diente.
An einem der Tage kam der Mann früher aus der Stadt zurück, band den Bären an einem Baum fest und ging in die Gaststätte, ließ aber die Tür zum Hof offen stehen. Da wir einen großen Hof und dort unsere Spielecke hatten, kamen häufig Kinder aus der Nachbarschaft zu uns zum Spielen.
Aus respektvoller Entfernung betrachteten wir den Bären. Irgendwann kam ein Kind auf die Idee, den Bären einmal tanzen zu lassen. Wir hielten das für eine gute Idee, zumal der Bär einen Maulkorb trug. Ein Kind forderte die anderen auf: „Lasst uns aus der Küche Topfdeckel und Holzlöffel holen!“ Dann stellten wir uns im Halbkreis um den Bären auf, trommelten und machten einen Höllenlärm. Der aber war nicht aus der Ruhe zu bringen, er wollte einfach nicht tanzen.
Irgendwie haben wir uns bei dieser Aktion näher an den Bären heranbewegt. Ausgerechnet jetzt stolperte ein Mädchen und fiel zu Boden. Blitzartig sprang der Bär hoch, holte mit der Tatze aus und zog das Mädchen zu sich heran. Durch unser Angstgeschrei aufgeschreckt stürmte der Bärenführer aus der Gaststätte und brüllte seine Kommandos. Gott sei Dank ließ der Bär unmittelbar von seinem Opfer ab. So nahm alles noch einmal ein gutes Ende.
Als Andenken hat das Mädchen allerdings am Fuß eine Narbe zurückbehalten.
Ohne die Aufzeichnung dieser Episode wäre das Erlebnis der Nachwelt nicht erhalten geblieben.
Gerda Wicharz ist inzwischen leider mit 95 Jahren im April 2018 in ihrer Wohnung neben dem Elternhaus verstorben.